
Alle Jahre wieder. Volkstrauertag in Deutschland. Ein Gedenktag, den wir brauchen, meint Hans Feuß,stv. SPD-Fraktionsvorsitzender in Harsewinkel. Hans Feuß hielt heute die Gedenkrede zum Volkstrauertag in Harsewinkel.
Lesen Sie hier weiter seine Gedanken zum Volkstrauertag:
„Der Volkstrauertag ist einer der stillen Gedenktage, von denen der November gleich mehrere aufweist. Für mich ist der Volkstrauertag ein Tag des Innehaltens, ein Tag der Einkehr und ein Tag des Mitfühlens. Wir gedenken heute in Deutschland der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft auf der ganzen Welt.
Wir erinnern uns an Soldatenfriedhöfe mit nicht enden wollenden Grabreihen, an die Baracken der Konzentrationslager, zerbombte Städte, gedemütigte Menschen, verbrannte Landstriche, Flüchtlingstrecks, ausgemergelte Menschen hinter Stacheldraht und die Eisenbahnwaggons der Spätheimkehrer. Jeder hat da sicher andere Bilder vor Augen.
An eine Gruppe wird oft nicht gedacht – die Frauen, die in Kriegen vergewaltigt wurden und die ihr Leben lang darunter zu leiden haben. Marion Käßmann, die ehemalige Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland, hat daran erinnert. Sie sagte wörtlich: „Am Volkstrauertag sollten wir nicht nur der toten Soldaten und Widerstandskämpfer gedenken, sondern auch der Frauen, die in Kriegen sexuell missbraucht wurden.“
66 Jahre sind seit Kriegsende vergangen. Der Zweite Weltkrieg aber wirft einen langen Schatten. Er ist inzwischen ein ferner, doch kein abgeschlossener Teil unserer Vergangenheit. Die Erfahrung seiner Schrecken gehört zu unserer nationalen Identität und prägt auch das Selbstbild unserer Nachbarstaaten. Die europäische Einigung entsprang dem festen Willen, das Zeitalter der Kriege zu überwinden und dauerhaften Frieden auf unserem Kontinent zu sichern.
Zur Zeit mache ich mir Sorgen um Europa. Vor einer Renationalisierung gegen Europa kann ich nur warnen. Wer als Antwort auf die Euro-Krise den europäischen Gedanken in Frage stellt, der hat aus der Geschichte nichts gelernt. Kooperation in einer Demokratie kann anstrengend sein. Wer aber die Folgen von Konfrontation kennt, wer die europäische Geschichte vor Augen hat, der weiß, dass Kooperation jede Mühe wert ist.
Die Europäische Union ist eine beispiellose Erfolgsgeschichte:
66 Jahre Frieden in Europa – das ist eine historische Leistung; zwischen dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 und dem Ersten Weltkrieg vergingen nur 43 Jahre, zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg nur 21 Jahre. Mit Spanien, Griechenland und Portugal wurden mittlerweile drei ehemalige Diktaturen als stabile Demokratien in die europäische Union integriert.
Nach wie vor aber ist Gewalt weltweit verbreitet. Nach wie vor werden Menschen in vielen Teilen der Welt Opfer von Krieg, Folter, Verfolgung, Vertreibung und Terror. Auch hiermit müssen wir uns am Volkstrauertag auseinandersetzen. Dazu gehört auch, dass wir heute mit Respekt der jungen Soldaten gedenken, die in Afghanistan oder in anderen Teilen der Welt in unserem politischen Auftrag ihr Leben riskieren, um den Aufbau eines Staates zu unterstützen, in dem die Menschenrechte noch nicht gelten.
Wir müssen auch verhindern, dass Lügen ein akzeptiertes Element von Politik werden:
– Hitlers Lüge vom polnischen Überfall auf den Sender Gleiwitz stand am Anfang des bislang größten europäischen Krieges.
– Bushs Lüge von Massenvernichtungsmitteln im Irak stürzte die westliche Welt in Kriege und Krisen.
Es gehört Mut dazu, das öffentlich auszusprechen. Aber wenn wir annehmen, dass jeder Mensch ein Recht hat in Frieden zu leben, dann müssen wir eine Alternative zum Krieg finden. Und deshalb darf das Gedenken an Kriegstote und Opfer von Gewalt nicht nur ein institutionelles Ritual sein.
Trauer lässt sich nicht staatlich verordnen, sie ist ein sehr persönliches Gefühl. Mitfühlen, gemeinsames Erinnern und Gedenken aber bringen zum Ausdruck, dass die unmittelbar Betroffenen nicht allein sind, dass wir uns als Gemeinschaft verstehen, die sich zur Friedfertigkeit bekennt. Die 2005 im Turm der Sankt Lucia Kirche aufgehängten 285 Gedenktafeln erinnern an die Opfer des II. Weltkrieges: darunter gefallene Harsewinkler Soldaten, im KZ umgebrachte Bürger, deutsche Zivilisten und russische, polnische, belgische, französische, italienische und jugoslawische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter.
Der Volkstrauertag darf sich aber nicht in der Rückschau und in der Tradition erschöpfen. Er ist ein sehr aktueller Gedenktag, den wir brauchen. Er schützt vor dem Vergessen und Verdrängen. Er mahnt uns, aus den Schreckensbildern und Ereignissen der Vergangenheit die richtigen Schlüsse zu ziehen. Gegen Krieg und Gewalt – für Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit! Am Volkstrauertag bekennen wir uns zum Wert des Lebens.
Und so schließe ich schließe mit den Worten aus dem Besucherbuch der Kriegsgräberstätte im italienischen Costermano: „Es ist schön, in Frieden zu ruhen, aber es ist besser, in Frieden zu leben.“